Die Moore
Ostfrieslands.
Von Hermann Meier in Emden.
Beschäftigung der "Mooreker", — Der Anbau des Buchweizens und dessen
Einfluß. — Eingehende Betrachtungen über das Moorbrennen und den
Höhenrauch. — Die Leegmoore,
Die fleißigen Kolonisten setzen alles daran, sich eine Zukunft zu
schaffen. Im Frühling und Sommer wird Buchweizen gesät und Torf gegraben
und letzterer das ganze Jahr hindurch von den "Moorhahnen", wie der
Städter diese Leute scherzweise nennt, auf kleinen mit Ochsen oder gar
mit einem erbärmlichen Pferde bespannten Wagen in die nächste Stadt
zum Verkauf gefahren.
Männer und Weiber und Kinder flechten in den
Mußestunden Strohmatten oder binden Besen von Haide, mit welchen sie
ebenfalls zur Stadt kommen, oder Alle sitzen um das hellodernde
Torffeuer, um grobe Strümpfe zu stricken, theils für den eigenen
Bedarf, theils und vorzüglich für den Verkauf. Schon bei Anbruch des
Tages sieht man sie in der oft drei bis vier Stunden entfernten
Stadt
mit Besen und Matten von Thür zu Thür hausieren, aber dieser
Erwerbszweig wird indeß in vielen Fällen wiederum mir als Mittel zum
Zweck, zum Betteln, gebraucht. Denn nicht selten gewahrt man, daß sie
die kleinen Kinder, die entweder auf dem Rücken, oder in der Schürze
mitgeschleppt werden, vor dem Thore entkleide», um durch durch den
halbadamitischen Zustand die Barmherzigkeit und das Mitleid wach zu
rufen.
Vor ungefähr
150 Jahren lieferte die Oberfläche des Moores außer
unbedeutendem Material zu Besen gar nichts. Ums Jahr 1707 kam ein
Prediger, Anton Bolenins, der längere Zeit in der holländischen
Provinz Groningen gestanden hatte, nach einem Dorfe Ostfrieslands. Auf
seiner holländischen Stelle hatte er sich mit der Kultur des
Buchweizens auf dem unkultivirt daliegenden Moore bekannt gemacht. Er
ließ jetzt von dort einen Mann nach seinem Dorfe kommen, damit dieser
seinen Pfarrkindern Unterricht in der Kultur jener Frucht ertheile:
wie man die Oberfläche des Moores im Herbst umhackt und im nächsten
Frühling brennt, um alsdann
Buchweizen säen zu können. Die Kunde
dieses neuen Erwerbszweiges verbreitete sich bald in der ganzen
Umgegend, und von Nah und Fern eilte man herbei, dieses Verfahren
kennen zu lernen, so daß nach wenigen Jahren schon in verschiedenen
Gegenden der Buchweizenbau eingeführt war. Dadurch wurde in diesen
Gegenden eine förmliche Umwälzung herbeigeführt. Starre, düstre Haide
verwandelte sich in blühende Buchweizenäcker, an denen sich der Blick
des Wanderers ergötzte, und deren reicher Ertrag die Mühe des
Kolonisten reichlich belohnte; einzelne Häuser und ganze Kolonien
belebten bald die menschenleere Oede, die früher mir von einem
einzelnen Schäfer mit seiner Herde oder von den Torfgräbern
unterbrochen wurde. Die Geschichte bewahrt die Namen Derer auf, welche
sich durch Morden und Sengen unsterblich gemacht haben, aber die Namen
der Wohlthäter der Menschheit, die durch stilleres Verdienst glänzen,
sind dem Gedächtniß bald entschwunden. Darum ist es Pflicht, die noch
bekannten von Zeit zu Zeit der Mit- und Nachwelt ins Gedächtniß zu
rufen, und wir stimmen dem Biographen unseres Bolenius vollkommen bei,
wenn er den Ostfriesen zuruft: „Segnet das Andenken dieses Mannes,
meine Landsleute!“
Als diese Benutzungsart der Moore allgemeiner bekannt wurde, ward ihre
weitere Einführung und Ausbreitung auf den ausgedehnten
herrschaftlichen Mooren durch die Fürsten Ostfrieslands selbst
unterstützt und von der Regierung auf alle Weise befördert. (Erst 1744
starb der letzte ostfriesische Fürst und wurde das Land preußisch.)
Aber auch an Anfeindungen fehlte es nickt. Besonders klagten die
fürstlichen Jagdbeamten über die Beschädigungen und den Verfall der
Wildbahnen, man erließ Edikte gegen das unbefugte, willkürliche und
ganz ordnungslose Brennen des Moores, aber ohne Erfolg. Der unter
mancherlei Gestalt auftretende Geist der Zeit schritt auch über die
Moore, vor ihm entfloh das niedere Wild, der feiste Hirsch, er
verscheuchte auch zugleich die letzte und einzige Poesie der
ostfriesischen Moore zum allergrößten Theile. Denn die jetzige Oede
ist weit von aller Poesie entfernt. Man brennt Hochmoor und Leegmoor,
kultivirt aber hauptsächlich letzteres, da eine Bebauung des
Hochmoores überaus kostspielig ist. Dafür liefert es allerdings denn
auch einen ausgezeichneten Ackerboden.
Die obere Decke, nur Pflanzendecke, ist ganz humoser Natur, aber
wasserdurchzogen, sauer und locker. Wenn ein solcher Boden Frucht
bringen soll, muß er mit Sand, Lehm und Kalk vermengt werden, wodurch
er alle
Hauptbestandtheile eines fruchtbaren Bodens erhalt. Aber
unsere Hochmoore haben eine von 4 bis über 20 Fuß mächtige
Torfschicht, unter welcher erst der Sand, meist auch der Lehm,
bisweilen selbst der kalkhaltige Boden stehen; diese Kulturmittel aus
dem Untergründe auf das Hochmoor zu schaffen, ist bei solcher
Mächtigkeit, wenn auch möglich, doch im Allgemeinen zu kostspielig,
sie mußten also von anderen Orten herbeigeschafft werden. Aber auch
diese Methode würde viel zu viel Geld kosten und ist deshalb für
unverwendbar zu erklären.
Zum Buchweizenanbau wählt der Kolonist gern einen etwas abhängenden
Boden oder doch einen solchen, auf dem die
Abwässerung nicht zu große
Schwierigkeiten bereitet. Ein solches Feld wird im vorhergehenden
Jahre vermittelst gerader, parallel laufender Gruben, die etwa zwei
Fuß tief und ebenso breit sind, in 15 bis 20 Fuß breite Äcker gelegt.
Die ans diesen
Gruben gewonnene Torferde wird auf die zu bearbeitenden
Äcker geworfen. Die Oberfläche derselben, die aus Moosen, sogenannten
sauren Gräsern und Haide besteht, wird mittelst eines sogenannten
Hauers umgerissen, wodurch dieselbe in lauter ungleichmäßige Stücke
verwandelt wird, die etwa 1/2 Fuß Länge und Breite und 3/4 Fuß Dicke
haben und wegen ihrer durcheinander gewürfelten Lage dem Froste Thor
und Thür öffnen, da dieser die Fruchtbarkeit in nicht geringem Maße
befördert. So bleibt der zerstückelte Boden bis zum nächsten Frühling
liegen; alsdann werden die Gruben nachgesehen und nöthigenfalls
verbessert, die Äcker gehackt, damit das Austrocknen leichter von
statten gehe und die größeren Stücke in kleine Haufen gebracht, die,
einige Schritte von einander entfernt, eine Reihe bilden. Auch dies
hat den Zweck, das Trocknen zu befördern.
So liegt nun das Feld bis
zum Monat Mai; alsdann, wenn keine Nachtfröste mehr zu fürchten sind,
beginnt man mit dem Brennen des Buchweizenfeldes. Man bringt das Feuer
zuerst in die kleinen Haufen, weil diese am trockensten sind, und
sobald diese halbdurchgebrannt, wirft man die brennenden Stücke gegen
den Wind hin überall auf die Äcker, wodurch dann auch die noch am
Boden liegenden Klötze entzündet werden. Denn hierauf eben beruht das
Gelingen der Arbeit. Die Erhitzung des Bodens ist der eigentliche
befruchtende FMalereior; durch das Brennen muß dem Boden die die
Vegetation hindernde Säure entzogen werden. Die Asche allein würde nur
wenig nützen.
Mitten in diesem Feuer,
in diesem höllischen Rauch steht der „Moorker“
in starken Holzschuhen und wirft mit einer langgestielten, alten,
durchlöcherten Pfannkuchenpfanne die brennenden Stücke dahin, wo es
noth thut, lockert das Ganze von Zeit zu Zeit ans und wirft die
glimmenden Klötze stets gegen den Wind. Zugleich aber sorgt er auch
dafür, daß der Boden nirgends in Flammen geräth, sondern nur gelinde
brennt und schmaucht; darum hat er ja auch so viele Stücke am Boden
liegen lassen, die, weil nicht vollständig trocken, nicht flammen
können, wie er nicht weniger dafür Sorge zu tragen hat, daß das Feuer
das ihm bestimmte Revier nicht verlasse und auf den angrenzenden
Haidefeldern oder auf kultivirtem Lande einen Prairiebrand im Kleinen
erzeuge. Es dauert gewöhnlich 24 bis 36 Stunden, ehe ein Stück Land
ausgebrannt ist.
Nachdem der Brand gelöscht ist, beeilt man sich,
die Frucht
hineinzusäen, und damit der Saame bedeckt werde, ohne daß die Asche
verwehe, fährt man leise mit einem Dorn darüber hinweg, wenn nicht der
Regen dies Geschäft übernimmt, der meistens nach beendigtem Brande
niederfällt. Auf diese Weise säet man nicht nur Buchweizen, sondern
auch Roggen, Hafer etc. Das kann erfahrungsgemäß mit gutem Erfolge
sechs Jahre hinter einander geschehen, dann aber bedarf das Moor einer
zwanzigjährigen Ruhe, um seine obere Decke zu regeneriren. Wird das
Brennen länger als im Allgemeinen etwa sechs Jahre fortgesetzt, so
werden zwar noch einige immer dürftiger werdende Ernten erzielt, die
Reproduktionskraft des Moores zur Wiederherstellung seiner obern
Pflanzendecke wird aber so unverhältnißmäßig geschwächt, daß das Moor,
wie man in Ostfriesland sagt, „todt“ gebrannt wird, und todt ist es
dann für 30 Jahre und länger.
Im September wird der Buchweizen mit der Sense oder der Sichel
abgeschnitten, oder, wenn er so niedrig geblieben ist, daß solches
nicht ohne Verlust der Körner geschehen kann, mit der Hand ausgezogen.
Die Garben werden meistens dort gedroschen, wo die Frucht gewachsen
ist. Dieses geschieht auf Segeln oder Betttüchern. Wer aber auf seinem
Buchweizenlande eine kompMalereie Stelle hat, der macht zum Dreschen hier
eine kleine Tenne, wozu nichts weiter erforderlich ist, als diese
Stelle zu ebnen, zu reinigen und etwas Buchweizenspreu
hineinzudreschen. Die zu dreschenden Garben setzt man aufgerichtet
dicht neben einander, so daß man von oben auf die leicht abspringenden
Körner einschlägt.
Ein Buchweizenfeld mit seiner hübschen, schneeweißen Blüthe mitten im
schwarzen, düstern Moor erscheint wie eine Oase in der Wüste, aber
auch für den „Moorker“ ist die Frucht derselben von großer
Wichtigkeit; ohne sie wäre das Moor unfruchtbar und öde, eine
unbewohnbare Wüste. Geschieht es leider nicht selten, da der
Buchweizen zu den weichlichsten Getreidearten gehört, daß der Boden
wegen häufigen Regens nicht zur rechten Zeit gebrannt werden kann,
oder daß die Nachtfröste die Pflanze gleich nach ihrem Aufwachsen
tödten, dann ist unter den Moorbewohnern Mangel und Noth gar sehr
daheim. Denn wenn wir unser Vaterland auch nicht mit Irland oder
einzelnen Theilen Oberschlesiens in eine Reihe stellen wollen und
können, so ist doch das Fehlschlagen der Buchweizenernte hier so wenig
ohne Folgen, wie dort der Kartoffelmißwachs. Der Buchweizen muß die
eine Hälfte der täglichen Nahrung liefern, auf einen guten Ertrag
borgen Krämer und Bäcker schon lange vorher ihre Waaren, ein Übriges
ist bestimmt, die wenigen Thaler Zinsen zu erlangen, die man
vielleicht für das Kapitälchen, welches zur' Verbesserung des Hauses,
zur Anschaffung einer Kuh etc. diente, zu zahlen hat.
Ist der Himmel dem „Moorker“ gnädig, dann darf er eine zwanzig-,
dreißig-, ja oft vierzigfältige Ernte erwarten.
Für uns Städter und für die Bewohner der westlichen Gegenden hat die
Kultur des Buchweizens eine starke Schattenseite. Wenn alle Welt sich
des lieblichen Mai's freut und jubelnd seine sonnigen Tage genießt,
dann geschieht es gar nicht selten, daß sich unser blauer Himmel mit
einem grau-gelben Nebel überzieht, daß die Sonne wie eine blutrothe
Kugel erscheint und endlich, wenn jener Nebel sich verdichtet, ganz
unsichtbar wird. Alle Gegenstände, die uns umgeben, sind gelblich. Das
kann doch kein Nebel sein, denn ein solcher verändert ja die Farbe der
Gegenstände nicht. Was ist denn das? Ist's ein aufgelöstes Gewitter,
ist's ein mit Schwefeldämpfen geschwängerter Nebel, ist's zersetzte
Kohlensäure, sind es „Lufttröpfchen“, die das Licht anders brechen,
als die umgebende Luft, ist's der von Nordamerika herüber gewehte
Rauch eines Prairiebrandes, sind es abgefallene Kometenschwänze?
Allerdings hat eine Reihe von Gelehrten die genannte Erscheinung für
Alles das, was wir so eben aufzählten, gehalten, und unser „Moorker“,
der vielleicht hin und wieder durch Pastor und Lehrer davon Knude
erhielt, lachte laut auf und fragte jedenfalls mit großem Recht: Und
solche Leute nennen sich Naturforscher? Ist denn ein solcher
Naturforscher ein Mensch mit unvollkommenen Sinnesorganen? Unseres
Bedünkens hält es doch so schwer nicht, Rauch von Nebel zu
unterscheiden, uund jede gesunde Nase wird bald finden, daß Rauch, nur
Rauch, ächt kräftiger, ostfriesischer Rauch die Luft erfüllt und die
Sonne zum Zürnen gebracht hat.
Es gibt bei uns zu Laude ein Sprüchwort: Liebe Kinder haben viele
Namen. Jener Rauch wird Höhenrauch, Haarrauch, Heerrauch, Sonnenrauch,
Haiderauch (französisch brouillard sec, englisch dry fog, holländisch
veenrook, heirooK, seerooK) genannt, wonach es ihm also an
Liebenswürdigkeit nicht fehlt. Wir nennen ihn Moorrauch, und dieser
Name bezeichnet ihn auch am richtigsten.
Nach Dr. Prestel in Emden, der sich wiederholt mit Untersuchungen über
den Moorrauch beschäftigt hat, beträgt
die Fläche Moor, welche
jährlich in und um Ostfriesland gebrannt wird, 30 bis 40.000 Morgen,
und wenn man bedenkt, daß nach dem Brennen die Oberfläche mit einer
Aschlage von etwa 1 1/2 Centimeter bedeckt ist, so kann man sich
ungefähr eine Vorstellung von der Rauchmasse machen, die ans diese
Weise erzeugt wird. Prestel berechnete, daß die Höhe der Rauchmasse
über dem Bourtanger Moor, welches 25 Quadratmeilen groß ist, während
des Brennens 9 bis 10.000 Fuß betrug. Die ganze zwischenliegende
Luftschicht war also mit dichtem Rauch angefüllt.
Es versteht sich von selbst, daß es nur vom Winde abhängt, nach
welcher Richtung sich der Rauch verbreiten soll. Da das Brennen nur
bei anhaltend trockner Witterung vor sich gehen kann, solche aber
gewöhnlich mit einem östlichen oder nordöstlichen Winde vereint ist,
so erreicht unser Ranch in erster Stelle das benachbarte Holland, um
sich mit dem dort geborenen Bruder zur Weiterreise zu verbinden, falls
nicht die Windströmung dieses engverbundene Paar aufhält oder gar
wieder in die Heimath des erstern zurücktreibt.
Im Jahre 1857 begann man bei einem ziemlich starken nordöstlichen
Winde hier in Ostfriesland am 6. Mai mit dem
Brennen. Schon am
folgenden Tage zeigte sich der Moorrauch in Utrecht, etwas später, als
der Wind östlicher geworden war, schweifte derselbe über Leeuwarden
nach dem Helder und besuchte bis zum 15. das Meer. Nun wurde der Wind
nordwestlich, der Moorrauch kam vom Meer zurück und erreichte am 16.
wieder Utrecht und etwas später auch Nimwegen. Am 16, und an den
folgenden Tagen sah man ihn auch in Hannover, Münster, Köln, Bonn,
Frankfurt; am 17. war er schon nach Wien vorgedrungen, erreichte am
18. Dresden und am 19. Krakau.
Nicht selten führt der Wind den Moorrauch über See nach England,
seltener gewahrt man ihn in der Schweiz, wo er mehrfach zu
Schaffhausen, Zürich, Basel und Genf wahrgenommen wurde.
Wahrscheinlich ist dies seine äußerste südliche Grenze, da ihm
vielleicht die Alpen ein: Bis hierher und nicht weiter! zurufen.
Man hat übrigens wiederholt dem Moorrauch den Vorwurf gemacht, er
führe durch Verunreinigung der Atmosphäre ein Heer schädlicher Folgen
nach sich, und hat daran die Forderung geknüpft, das Moorbrennen
gesetzlich zu verbieten.*)
Es wird behauptet, daß der Moorrauch einen nachtheiligen Einfluß auf
die Witterung übe. Es scheint so viel ziemlich sicher zu sein, daß
durch die aufsteigende Hitze eine vermehrte Luftströmung herbeigeführt
und Wind geboren wird.
Unsere Obstgärtner beschuldigen den Moorrauch, daß er die Haarfliege (Bibio
manci /,) mit sich führe, welche ihnen die Apfelblüthen zerstöre. Dies
ist ein doppelter Irrthum. Erstens wird die genannte Fliege nicht vom
Moorrauch erzeugt oder mitgeführt, sondern die Larven dieses Insektes
leben unter der Erde und ihre Metamorphose findet Ende April oder
Anfang Mai statt, ungefähr zu der Zeit, wenn die Moore gebrannt
werden; der Unkundige meint deshalb, der Moorrauch sei schuld au ihrem
Dasein. Zweitens aber zerfrißt keineswegs die Moorfliege die jungen
Apfelblüthen; dies thut der Apfelblüthenstecher (Aetonomus pomarium /,
), und ist also dieser vor die Schranken des Gerichts zu fordern.
Im Jahre 1826 berichtete die Regierung zu Trier an den König, „daß der
Moorrauch auf den Weinbau einen entschieden nachtheiligern Einfluß
habe, als irgend eine ungünstige Witterung“! In keinem Jahre wurde das
Rheinthal stärker vom Moorrauch heimgesucht, als 1858. Dennoch fiel
die Weinlese in jeglicher Beziehung so günstig aus, wie irgend je
zuvor.
Als wohlbestallter Vertheidiger des arg verläumdeten Moorrauchs haben
wir nun noch die Frage aufzuwerfen: Kann unser Klient unter Umständen
auch nützlich werden? eine Frage, die auf den ersten Blick ungereimt
erscheint.
Daß im Frühling so viele Pflanzen verunglücken, verschulden zum großen
Theil die Nachtfröste. Diese entstehen durch die Ausstrahlung der
Wärme aus dem Boden bei heller, unbewölkter Luft. Ein Thermometer,
welches im Grase liegt, steht sieben bis acht Grad höher, als ein in
der Luft hängendes. Wells befestigte ein Thermometer auf eine
horizontale Planke, die sich zwei Fuß über der Erdoberfläche befand,
ein zweites an die Unterseite derselben. Jenes stand 5 Grad niedriger,
als dieses. Er bedeckte bei einigen Zoll Höhe die Erde mit einem
Battisttaschentuche und fand bei hellem Himmel das Gras unter dem
Tuche 6 Grad wärmer, als in der nicht bedeckten Umgegend. Dies Alles
beweist hinreichend, daß die Erde oder die darauf wachsenden Pflanzen
nur bedeckt zu sein brauchen, um den Nachtfrösten nicht anheim zu
fallen.
Was ein dünnes Taschentuch vermag, das vermögen auch die Wolken, und
wo diese fehlen, künstlich erzeugter Rauchnebel, der sich über den
Boden und die darauf wachsenden Pflanzen als eine schützende Decke
ausbreitet.
Es wäre also der Versuch zu machen, in der Zeit der Nachtfröste durch
Raucherzeugung diesen Feind vom Buchweizen abzuhalten, ein Versuch,
der um so leichter gemacht werden kann, da Brennmaterial im Ueberfluß
vorhanden ist.
Als die Spanier Mexico erobert hatten, fanden sie bei den Eingeborenen
die Gewohnheit, zur Abwehr der Nachtfröste trockenes Stroh oder
Misthaufen zu verbrennen. Die Spanier glaubten, dieses durch eifriges
Beten ersetzen zu können. „Aber das Gebet ohne Ranch“ — sagt ein
spanischer Schriftsteller — „half nichts mehr!“
Doch kehren wir wieder in die ostfriesischen Moore zurück.
Die Leegmoore (abgegrabenes Moor) werden im Ganzen seltener und auch
nicht so lange gebrannt, als die Hochmoore, sondern meist bald nach
der Enttorfung kultivirt. Der neue Boden ist bei gehöriger
Entwässerungu Düngung der allerdankbarste, selbst da, Ivo der
Untergrund aus weißem Sand besteht; mehr noch natürlich da, wo man mit
Mergel vermengten oder lehmigen Boden unter dem Torfe findet. Unter
den beiden Arten von Sand, weißem und rothem (eisenhaltigem), gibt man
dem rothen als Kulturgrund den Vorzug. —
Der Kolonist, der sich hier niederläßt, hat meistens nichts, als seine
gesunden Hände und den festen Vorsalz, sich durch Fleiß und Ausdauer
einen Heerd zu gründen. Ein Haus ist bald gebaut: einige Pfähle werden
in die Erde gerammt, die Wände von Torf und „Plaggen“. (Stücken des
obern Moorbodens) aufgebaut, das Stroh zum Dach schenkt vielleicht der
frühere Brodherr, einige auf einer Versteigerung erstandenen Fenster
bringen Licht ins Haus, wenige zusammengeschlagene Planken vertreten
die Stelle der Hausthür. Schloß uud Riegel sind Luxusartikel. Mann und
Frau haben noch einige ersparte Thaler aus dem letzten Dienstjahre.
Für diese werden Tisch und Stuhl, ein Bett und das allernothwendigste
Arbeitszeug gekauft. Mißräth nur in den ersten Jahren die
Buchweizenernte nicht ganz, liefert das bescheidene Gärtchen nur nicht
zu viele kranke Kartoffeln, kann der Mann sogar noch etliche Tage in
der Woche als Tagelöhner bei seiner frühern Herrschaft arbeiten, dann
ändert sich sein Zustand von Jahr zu Jahr zum Bessern. Das Hans wird
verbessert und durch Stall und Tenne vergrößert, und ist man erst so
glücklich, bei der Hinterthür einen nicht zu kleinen und zu magern
Düngerhaufen zu erblicken, dann ist der Mann einer selbständigen und
gesicherten Existenz schon um mehrere Schritte näher gerückt.
Denn Dünger ist vor allen Dingen erforderlich, das Moor in Kultur zu
setzen. Wer selbst noch kein Vieh anzuschaffen im Stande ist, sammelt
mit Bienenfleiß jedes Stückchen Dünger und vermischt es mit „Plaggen“,
Stroh und allem häuslichen Abfalle.
Hier kennt man kein frohes gemeinschaftliches Spiel der Jugend, keine
Poesie des kindlichen Alters, keine Träume und Phantastereien der
Jugendjahre, dem, hier wird nur das Kind für die harte Schule des
Lebens geboren, um in derselben Ausdauer, Umsicht, Sparsamkeit, stille
Zufriedenheit und einen gewissen Stolz zu erwerben. 20 bis 30 Jahre
vergehen oft, bevor der Kolonist Rosen zu brechen hoffen darf.
Sein Haus ist seine Welt. Was da draußen geschieht, ihn kümmerts so
wenig, wie die dort sich um ihn kehren. Freud und Leid genießt er mit
den Seinen. Öffentliche Feste und Lustbarkeiten hat er nicht, kann er
nicht haben, ja er kennt sie kaum; der nächste Nachbar wohnt zu fern,
um regelmäßigen Verkehr mit ihm zu haben, das nächste Dorf ist
vielleicht stundenweit entfernt. Auch fehlts ihm an Zeit, den
Vergnügungen nachzugehen. Arbeiten, essenn schlafen — das ist seine
Tagesordnung von Sonntag bis Sonntag, diesen Tag mit einbegriffen.
Lektüre verirrt sich nicht hierher; will man lesen, so hat man an
Bibel, Gesangbuch, Katechismus und an den sonstigen Schulbüchern der
Kinder genug. Der Geselligkeitstrieb wird immer mehr getödtet, das
ganze Dichten und Trachten geht nur auf Erwerb hinaus.
Trotz seiner scheinbaren Poesie ist doch das Leben auf dem Moore ein
Dasein voll bitterer Prosa, voll Arbeit und Entsagung.
*) Wir haben über diese scheußliche Landplage, das „höllische“, die
Luft auf ungeheuer weite Strecken verpestende Moorbrennen schon Globus
IV, S. 149 gesprochen. Leider wird man ein Verfahre, das alljährlich
nicht blos im nordwestlichen Deutschland fast alle schönen
Frühlingstage verdirbt, nicht verbieten können. Aber ich erinnere
mich, daß ein Bremer, welchem man sagte, daß die Moorbrenner doch auch
Menschen seien und leben müßten, entgegnete: „daß die Moorbrenner
Menschen seien, leugne ich geradezu; sie sind Ungeheuer; und daß sie
auf der Welk zu existiren brauchen, dafür sehe ich keine
Nothwendigkeit ab“. Das war an einem Tage, an welchem der stinkende
Moorrauch so dick aus der ganzen Wesergegend lag, daß man kaum ein
paar Schritte weit sehen konnte.
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